An den Hängen des Monte Baldo, mit Blick auf den Gardasee, wächst ein uralter und majestätischer Baum, aus dem eine ebenso kostbare Frucht hervorgeht: die Edelkastanie von San Zeno (Marrone di San Zeno). Über die Jahrhunderte hinweg hat sich rund um diesen Baum eine Kultur entwickelt – geprägt von langsamen Gesten, bäuerlichen Traditionen und überliefertem Wissen –, die heute noch in den Kastanienhainen, in der lokalen Küche und auf Dorffesten weiterlebt. Eine Welt, die nach Erde, Holz und Herbst duftet, in der jede Kastanie eine Geschichte von Mühe, Geschmack und Identität erzählt.
Kastanie oder Marrone?
Der Unterschied zwischen Kastanie und Marrone ist faszinierender, als man denkt – so sehr, dass er seit Jahrhunderten Experten und Liebhaber spaltet. Die Marrone ist nichts anderes als eine hochwertige Edelkastanienvariante, bekannt für ihre größere Größe, ihren süßeren Geschmack und ihre Vielseitigkeit in der Küche, vor allem in der Patisserie. Unterscheiden lässt sie sich nicht nur am Geschmack, sondern auch an ihrer Struktur: Jede Fruchthülle (Igel) enthält ein bis maximal drei Früchte, die jeweils unversehrt und leicht zu schälen sind, mit einer dünnen Schale, die nicht ins Fruchtfleisch eindringt. Auch die Botanik spielt eine Rolle, mit Unterschieden in der Blüte, die die Unterscheidung noch komplexer machen. Die Marrone ist so begehrt, dass sie bereits im Mittelalter Teil eines florierenden Handels war – wie im Fall der berühmten Marrone di San Zeno, die an den Hängen des Monte Baldo angebaut wird. In Höhenlagen zwischen 600 und 850 Metern befinden sich Kastanienhaine, die seit Generationen gepflegt werden – hier ist die Marrone nicht nur eine Frucht, sondern ein Symbol lokaler Exzellenz.
Anbau und Ernte: ein überliefertes Wissen
In der Gegend um San Zeno ist der Anbau von Kastanienbäumen weit mehr als ein Beruf – es ist eine jahrhundertealte Tradition, die im Mittelalter verwurzelt ist und bis heute als wertvolles Wissen weitergegeben wird. Die majestätischen und uralten Kastanienhaine erstrecken sich über die Hänge des Monte Baldo, wo das milde Klima und der saure Boden ideale Bedingungen für eine qualitativ hochwertige Produktion schaffen. Die Arbeit in den Wäldern beginnt im Sommer mit dem Zurückschneiden der Schösslinge und der Reinigung des Bodens, aber zwischen Ende September und November erreicht sie ihren Höhepunkt. Wenn sich die stacheligen Fruchthüllen öffnen, werden die Marroni vorsichtig mit dünnen Bambusstäben vom Baum geschlagen, anschließend von Hand aufgesammelt und sorgfältig ausgewählt. Nach der Ernte kommen sie in die sogenannte "Rissara", wo sie etwa zwei Wochen lang an der frischen Luft fermentieren – eine traditionelle und natürliche Methode, um die Fruchthüllen zu öffnen und die Kastanien vor Schimmel und Schädlingen zu schützen. Alternativ gibt es die "Novena", bei der die Marroni neun Tage lang in frischem Wasser eingeweicht werden (alle zwei Tage wird das Wasser gewechselt), gefolgt von einer langsamen Trocknung auf Terrakottaböden. All dies geschieht ohne chemische Behandlungen oder invasive Techniken: Die landwirtschaftlichen Methoden sind umweltfreundlich, mit bewusst niedrigen Erträgen und großer Sorgfalt für die Gesundheit der Bäume. Heute ist rund 70 % der Produktion biologisch zertifiziert – ein Zeichen für das stete Engagement zum Schutz der Umwelt und der Produktqualität. Eine respektvolle Lieferkette, die jede Handlung, jede Jahreszeit und jede Frucht wertschätzt.
Das Superfood der Berggemaiden
Jahrhundertelang war die Kastanie viel mehr als nur eine einfache Frucht: Sie war eine lebenswichtige Ressource für die Bergbevölkerung, so sehr, dass man sie „das Getreide, das auf Bäumen wächst“ nannte. Reich an Stärke, Eiweiß, Mineralien und Vitaminen, bildete sie die Grundlage der täglichen Ernährung – vor allem in den harten Wintermonaten. Man aß sie in der Glut gegart, gekocht oder geröstet, aber auch zu Mehl verarbeitet für Brot, Polenta und andere nahrhafte Gerichte. Die Kastanie war nicht nur Nahrung: Man schrieb ihr auch heilende Wirkungen zu – gegen Fieber, Vergiftungen und sogar die Pest. Heute mag die moderne Medizin diese Wirkungen relativieren, aber sie erkennt die energetischen und mineralisierenden Eigenschaften an – ideal sogar für Sportler. Eine bescheidene, aber außergewöhnliche Frucht, die ganze Generationen ernährt hat und noch heute von der Kraft und dem Einfallsreichtum der Bergbewohner erzählt.
Die vielen Verwendungen der Marrone
Die Marrone di San Zeno ist nicht nur eine hochwertige Frucht, sondern ein wahrer Star der regionalen Küche. Zu den einfachsten und authentischsten Arten, sie zu genießen, gehören die Peladèi – geschälte Marroni, in Salzwasser mit Salbei gekocht. Sie sind auch die Hauptzutat des bekanntesten Gerichts der Region: Minestrone coi Marroni – eine reichhaltige Variante der venetischen Bohnensuppe. An den Hängen des Monte Baldo werden auch die Biscoti zubereitet – köstlich geröstete Kastanien, in einer typischen gelochten Pfanne namens Barbèra. Doch damit endet die Vielseitigkeit dieser Frucht nicht: Man findet sie auch im Castagnaccio mit Olivenöl vom Gardasee, in Kastanienröllchen, in Marroni kandiert in Grappa, in der Marronata (Kastaniencreme) und sogar im handwerklich gebrauten Bier "Castanea". Ob süß oder salzig, rustikal oder raffiniert – die Marrone fängt den Geschmack des Herbstes ein und erzählt eine Geschichte von Tradition, Genuss und Kreativität.
Die "Festa del Marrone di San Zeno"
Jedes Jahr, von Ende Oktober bis Anfang November, feiert San Zeno di Montagna eines seiner wertvollsten Symbole mit dem Festa del Marrone. Mitten in der Erntezeit erwacht das Dorf mit Märkten, herbstlichen Düften und authentischen Aromen zum Leben – eine einmalige Gelegenheit, die g.U. geschützte Marrone di San Zeno und ihre lange Tradition aus nächster Nähe kennenzulernen. Das Herzstück der Veranstaltung ist die Mostra Mercato (Marktausstellung), bei der Besucher die Marrone in zahlreichen Zubereitungen probieren können – von rustikalen Speisen bis zu raffinierten Desserts, begleitet von lokalen Weinen. Neben der Kulinarik gibt es auch Kunsthandwerk, Volksmusik und gemeinschaftliche Veranstaltungen wie das Palio Gastronomico delle Contrade und den Wettbewerb Marron d’Oro, bei dem die besten Produzenten ausgezeichnet werden. Es handelt sich nicht nur um ein Fest, sondern um eine echte Hommage an die Region – eine Verbindung von Kultur, Landwirtschaft und Identität.
Dank des Engagements der lokalen Produzenten und des g.U. Schutzes bleibt die Marrone di San Zeno bis heute eine lebendige und geschätzte Ressource. Eine Frucht, die die Geschichte ihrer Herkunftsregion erzählt – und die durch ihre Wälder, Traditionen und Aromen jedes Jahr aufs Neue ihre tiefe Verbindung mit den Menschen und der Erde des Monte Baldo erneuert.